Es war einmal...

... das echte Leben

Unsere traditionellen Volksmärchen sind im Volk entstanden und wurden unter den Erwachsenen weitererzählt: als Lebenshilfe im spirituellen und praktischen Alltag. Denn im Märchen wie im Leben geht es um die vier Pole, zwischen denen wir Menschen uns seit Jahrtausenden bewegen: Liebe und Angst, Sehnsucht und Hass. Die Könige, Zwerge, Prinzessinnen, Soldaten, Hexen und all die anderen Protagonisten machen in den Märchen ihren Job und spielen ihre Rolle, miteinander oder gegeneinander. Je nachdem.

 

Es wird also geliebt, gekämpft, verflucht und verzaubert, abgegrenzt, eingesperrt oder herbeigesehnt, was das Zeug hält. Da kommen Verzweiflung und Wut, irrwitzige Ideen und nie geahnte Kräfte. Man macht sich auf, sattelt das Pferd, springt in den Brunnen oder kommt ganz einfach vom Weg ab. Zuweilen muss die Königstochter sogar barfuß los. So tief kann man fallen, und noch tiefer.

Mangel, Leid und all das Böse

Was für ein wunderbarer Spiegel. Nicht wenige von uns kennen das Gefühl, zu fallen - ohne zu wissen, wann der Aufprall kommt. Diese Wut, wenn plötzlich mein Leben umgekrempelt wird (jedenfalls fühlt es sich so an), und ich auf nackten Füßen den steinigen Weg laufen muss. Alleine. Die Angst, eine Aufgabe nicht zu schaffen, zu versagen oder einer "Hexe" wieder machtlos gegenüber zu stehen. Damit das Böse besiegt werden kann, muss es benannt werden. "Ich könnte mir die Zunge abschneiden!", "Da reiße ich mir ein Bein aus!", "Für Dich lege ich die Hand ins Feuer." Ursprung dieser Sprüche: na klar, die Volksmärchen.

 

Märchen sind nicht zimperlich, das Böse zu benennen. Es gibt allerlei Flüche, Versteinerungen und sehr kreative Formen von Ausgrenzung. Hände, Füße und Köpfe werden abgeschlagen. Kinder werden entführt, eingeperrt, fortgejagt oder gefressen. Liebende erleiden gewaltvolles Getrenntsein. Das sind nur einige Beispiele.

Liebe und Hochzeit

Die Kraft der Liebe schwingt in (fast) jedem Märchen mit, als sinnliche Verbindung und oftmals als Zauber, der scheinbar Unmögliches möglich macht. Wer hat das nicht schon erlebt oder es sich zumindest gewünscht!? Das Ziel ist ein happy end: die Hochzeit! Das ist in den Märchen ganz bestimmt nicht unser Begriff von Ehe. Wenn im Märchen geheiratet wird, vereinigen sich die Gegensätze zu einem Ganzen - und zwar nachhaltig! Bis ans Lebensende bleibt das Böse besiegt, ist der Ausgleich aller Kräfte geschaffen und der Zustand des All-Einsseins erreicht. Yin und Yang.

 

Märchen erzählen auf so vielfältige Weise von Themen, die bei uns hochaktuell sind. Vor allem erzählen sie uns von einem Umgang miteinander, in dem Konflikte grundlegend gelöst werden, oft unter hohem Einsatz. Manchmal muss man um etwas kämpfen, sich abseilen, Zöpfe abschneiden, fliehen oder sich "fressen" lassen - Hingabe in höchster Form! Damit die Liebe gewinnt und zusammenkommt, was zusammen gehört. Märchen als uralte Kraftquelle der Menschen sprechen diese Sehnsucht an und machen Mut, Wege zu gehen.

Und die Hexe

... muss natürlich in den Ofen, ist doch klar!